Karin Kramer Verlag Der Verlag

Cornelia Staudacher in der Zeitung "Der Tagesspiegel" vom 22.7.1990:

Seit nunmehr zwanzig Jahren widmen sich Karin und Bernd Kramer der Aufgabe des Büchermachens in ihrem weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannten Verlag. Zunächst innerhalb der in der Bülowstraße angesiedelten Linkeck-Kommune, dann in einer Einzimmerwohnung in der Rollergstraße und schließlich in einer Neuköllner Ladenwohnung, in der das Büro, eine bescheidene Satz- und Layout-Werkstatt und ein Lager untergebracht sind. An der Wand neben der Eingangstür hängt eine altertümliche Stechuhr, die zwar nicht mehr ihren ursprünglichen Zweck erfüllt, aber doch an das Verlegergewissen appelliert. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit bei der Einhaltung von Terminen sind schließlich die beste Gewähr dafür, daß das Verlagspensum geschafft wird.

Im zweiten Raum stehen die beiden Schreibtische, beladen mit Bergen von Büchern, Briefen, Katalogen, Entwürfen und Manuskripten. Im dritten, dem hintersten und kleinsten Raum sind der Composer und der Leuchttisch untergebracht. Gesetzt wird im Computer auf Disketten, nach denen die Druckvorlagen auf Fotopapier angefertigt werden. Umbruch, Lay-out und auch der Umschlag werden hier gestaltet.

Vor zwanzig Jahren war das noch anders. Zunächst veröffentlichten Karin und Bernd Kramer unter dem Label "Underground Press" sozialrevolutionäre Schriften und Texte zur internationalen Arbeiter- und Rätebewegung: "Ein Tapeziertisch in der Küche und dann ging¯s los." Das erste "legalisierte" und mit einer ISBN, einer internationalen Standard-Buch-Nummer, versehene Buch war Bakunins "Staatlichkeit und Anarchie". Der durch ein Autorenkollektiv angefertigten Übersetzung lag die vom Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam überarbeitete Ausgabe zugrunde. Die im Flattersatz maschinengeschriebenen Manuskriptseiten, die fotografisch auf Druckplatten übertragen und im Offset-Verfahren gedruckt wurden, wiesen alle Merkmale einer kostensparenden Kleinverlage-Erstedition auf. Aber der einfache schwarze Pappumschlag war nicht so sehr als Symbol einer anarchistischen Gesinnung gemeint, als der er in späterer Zeit verstanden wurde, sondern schlicht und einfach aus Ersparnisgründen gewählt worden.

Dennoch wäre dieses erste "richtige" Buch fast zum geschäftlichen Fiasko geworden, weil sich inzwischen auch der Ullstein-Verlag "des Meisters angenommen hatte". Aber der "Bakunin", zunächst in einer Auflage von 2000 Exemplaren erschienen, wurde im Laufe der Jahre mehrmals nachgedruckt. Seine vorerst letzte Auflage erfuhr er im vorigen Jahr in einer leicht veredelten Form. Auch die dreibändige Ausgabe der Werke Bakunins gehört inzwischen zu einem Klassiker des Verlags.

Der Perfektionszwang, der sich auch im Bereich der Bücherherstellung immer mehr durchsetzt, habe, meint Karin Kramer, auch einen Verlust an Phantasie und Kreativität zur Folge. So ganz mag sie sich noch nicht damit abfinden, bestimmten Standards genügen zu müssen, um sich auf dem heutigen Buchmarkt behaupten zu können. Und gern erzählt sie von den Zeiten, als Bücher ausschließlich wegen ihres revolutionären Inhalts gekauft wurden und technische Kriterien eine sekundäre Rolle spielten. Man nahm es nicht pedantisch genau mit Druckfehlern oder dem Impressum. Neben Wiederauflagen der frühen sozialistischen und anarchistischen Schriften (Bakunin, Kropotkin, Malatesta, Landauer, Mühsam, Pfitzner) und sozialrevolutionärer Aktionsprogramme erschienen im Karin Kramer Verlag auch die frühen Schriften zur antiautoritären Erziehung (Reich, Fromm, Bernfeld). Kaum ein Kinderladen, wo die grau eingebundenen broschierten Schriften nicht im Regal lagen, die für drei bis fünf Mark zu haben waren, bevor sie Eingang in die Paperback- und Taschenbuchreihen der großen Verlage fanden. Das Programm aus den ersten Jahren des Verlags ist ein Spiegelbild jener durch Studentenrevolten und Protestdemonstrationen geprägten Zeit, in der der Verlag sein Image entwickelte. Widerständig, aufmüpfig und provokativ brachte er Steine ins Rollen, stellte alltägliche Gewohnheiten in Frage und wirkte oft als Vorreiter für die großen Verlage.

Ab 1974 gab Hans Peter Duerr im Karin Kramer Verlag die Buch- / Zeitschriftenreihe "Unter dem Pflaster liegt der Strand" heraus, von der insgesamt fünfzehn Nummern erschienen. Eine andere Reihe, die in den achtziger Jahren von Hansjörg Viesel herausgegebenen "Lager-Schäden" muten dagegen in ihrer professionellen Machart und dem ornamentalen Umschlag wie ein ironisches Zugeständnis des Verlags an die Herstellungsgepflogenheiten des kommerziellen Buchmarkts an. Nur auf den ersten Blick Abwegiges findet sich hier wie Jakob Haringers Abrechnung mit Goethe zu dessen 150. Todestag oder Hugo Balls Würdigung zum 99. Geburtstag.

"Nur die Phantasielosen flüchten in die Realität" heißt es in dem 1983 erschienenen "Anarchistischen Jahrbuch", was als ein Leitsatz für das Programm des Karin Kramer Verlags verstanden werden kann. Um nicht zum "Fraktionsverlag für Anarchismus" zu werden, wurde das Verlagsprogramm im Laufe der Jahre um literarische und künstlerische Texte erweitert. Manch eine Trouvaille befindet sich darunter, wie "Niels Klims unterirdische Reise" von Ludwig Holberg in der "Bibliothek der Utopien", satirische, skurrile Texte aus dem näheren und weiteren Umfeld des Surrealismus und Dadaismus, angefangen mit Arrabal und Breton über Duerrs "Satyricon" und Gedichte Jim Morrisons bis zu Roland Topors makabrem Melodram "Monsieur Laurents Baby" und Marianne Eicholz´ Roman "Die Geburt der Musik aus den Spreesümpfen". Als Zeichen eines gewandelten Zeitgeists können die mit dem 6. und 7. Buch Mosis begonnenen Schriften zur Magie und Mystik verstanden werden. "Ein Phänomen" nennt Bernd Kramer den Erfolg des Buches Mosis.

Seit Anfang der achtziger Jahre gibt es im Karin Kramer Verlag die Rubrik Frauenliteratur, aus der vor allem die Schriften Emma Goldmans erwähnenswert sind. Emma Goldman war aus dem vorrevolutionären Rußland nach Amerika ausgewandert, wo sie sich unermüdlich politisch engagierte. Ihre dreibändige Biographie und etliche ihrer theoretischen Schriften geben Auskunft über eine Frau, die, ausgelöst durch die blutigen Gewerkschaftskämpfe in Amerika, zu einer der ersten Kämpferinnen für die Rechte der Frauen wurde. Sie war getrieben von derselben revolutionären Ungeduld, die auch Bakunin zeit seines Lebens auszeichnete. "Ruhe brachte mir Verzweiflung, meine Seele war in ständiger Bewegung, sie verlangte Tat, Bewegung und Leben. Ich fühlte, in einem alltäglichen und ruhigen Kreise müßte ich ersticken", hat Bakunin einmal geschrieben. Das Leben und die Liebe zu Büchern sind es auch, die das Buchmacherpaar Karin und Bernd Kramer antreiben.




zum Seitenanfang