Karin Kramer Verlag Leseproben

Peter Giersich / Bernd Kramer
MAX HOELZ
Man nannte ihn: Brandstifter und Revolutionär, Robin Hood, Che Guevara, einen Anarchisten, den Roten General.
Sein Leben und sein Kampf.
3-87956-237-7  /  173 Seiten  /  zahlreiche Abbildungen
Euro (D) 18,50  /  sFr 31,80



INHALT

I. Kapitel - Wer war Max Hoelz?
Peter Giersich:
Zum Text   Max Hoelz - ein ehrlicher revolutionärer Kämpfer des deutschen Proletariats
Eugen Steinert:
Die Vorgänge in Falkenstein

II. Kapitel - Wie alles begann ...
Bernd Kramer:
Zum Text   Lebensmittel, Löffelklau, Lesben und erpreßte "Spenden"
Szenenwechsel - zur Szene
Geschichte ist Geschichte oder: Friedrich II. - Max Hoelz - Erich Honecker - und die RAF
Walter Ulbricht über Max Hoelz
Eros - Ionen - Nur ein viertel Jahr
Die Proteste gehen weiter
Max Hoelz zum 100. Geburtstag

III. Kapitel - Erinnerungen
August Friedel:  Ich erinnere mich
Fritz Globig:  "Eierhandgranaten"
Georg Dittmar:  Max Hoelz
Traute Hoelz-Slanska:  Grenzübertritt der Roten Garde und Max Hoelz
Traute Hoelz-Slanska:  Wie kam es dazu, daß Max Hoelz im Gefängnis in Breslau eine neue Ehe schloß
Arthur Dombrowski:  Weihnachten in der Zelle von Max Hoelz
Traute Hoelz-Slanska:  Egon Erwin Kisch besucht Max Hoelz im Zuchthaus
Ariadna Hoelz-Tur:  Max Hoelz hat seine Ideen mit Taten verwirklicht
Rudolf Lindau:  Hoelzens Fehler waren Fehler der Partei

Bildgalerie

IV. Kapitel - Historiker und Historisches über Max Hoelz
Günter Hortzschansky:  Max Hoelz - Kämpfer für Freiheit und soziale Gerechtigkeit, für die Macht der Arbeiter und Bauern
Manfred Gebhardt:  Bolschewistische Amseln - Max Hoelz und die Frauen
Karl Retzlaw:  Befreiungsversuche Max Hoelz´ aus dem Knast
Wilhelm Pieck:  Ein nicht abgesandter Brief
Franz Jung:  Max Hoelz lag mir weniger
Karl I. Albrecht:  Der Mord an Max Hoelz
Beimler, Heckert u.a.:  Andenken an den tapferen Revolutionär Max Hölz
Anonym:  Max Hölz in Rußland ertrunken
Margarete Buber-Neumann:  Max Hölz ruft zu Terror und Plünderungen auf

V. Kapitel - Max Hoelz authentisch
An die Zentrale der Kommunistischen Partei: (Der rote General berichtet)
Anklageschrift gegen Max Hoelz vom 29. Mai 1921
Max Hoelz:  Anklagerede gegen die bürgerliche Gesellschaft, gehalten vor dem Moabiter Sondergericht am 22. Juni 1921 in Berlin
Aus dem Briefwechsel:
Eingabe an den preußischen Justizminister
Brief an Georg Schumann: Bitte um Hilfe und Verschonung vor Irrenabteilung
Brief an die Ortsgruppe Oelsnitz/Vogtland der KPD
Brief an Wieland Herzfelde: "...wenn ich ersoffen wäre ..."
Kesselheizer der Revolution  Ansprache auf einer Schallplatte
Brief an Woroschilow

VI. Kapitel - Gedichte und Lieder
anonym - Der junge Tambour
Hans Mrowetz - Erinnerungen
Erich Mühsam - Max-Hölz-Marsch
Bernd Rump - der kommunismus im vogtland
Hans Schweighöfer - Kerker - Zum Andenken an Max Hoelz
Johannes R. Becher - Max Hoelz
Theobald Tiger - Für Max Hölz. Verurteilt am 22. Juni 1920
Volker Braun - Max Hoelz heiratet
Erich Weinert - Gruß an Max Hoelz
Stanislav K. Neumann - DER ROTE MAX

Anhang
Peter Giersich
Wir nennen ihn "unseren Max"
Bernd Kramer
Analogien, über die man streiten muß

Bibliographie
Bilder-Nachweis
Namensregister



 

I. Kapitel
Wer war Max Hoelz?


Peter Giersich

Max Hoelz - ein ehrlicher revolutionärer Kämpfer des deutschen Proletariats


Am 14. Oktober 1889 wurde Max Hoelz in Moritz bei Riesa (heute Ortsteil der Gemeinde Röderau) geboren. "Als Sohn einfacher, armer Landarbeiter hat er die ganze Schwere des Schicksals der Proletarierkinder zu kosten bekommen. Nur ausgerüstet mit den mangelnden Kenntnissen einer sächsischen Dorfschule trat er ins Leben. Zwei Jahre nach seiner Schulentlassung ging er in die Stadt und einige Monate später nach England. Tagsüber arbeitete, abends lernte und studierte er. Er wollte nicht, wie seine Eltern, ein ärmliches Dasein führen. Er glaubte an die ´freie Bahn des Tüchtigen´. Er nahm alles Wissen von dort, wo er es fand und hat mit großer Zähigkeit und Ausdauer bis an die Grenze seiner physischen Leistungsfähigkeit seinem Ziele zugestrebt." (Georg Schumann) Er studierte Geometrie und erwarb sich Grundkenntnisse im Eisenbahnbau, in der Vermessungstechnik.

1909 kehrte er nach Deutschland zurück, arbeitete als Eisenbahntechniker in Berlin, dann als Filmerklärer in Dresden. Dabei führte er seine Studien weiter. 1912 erklärten ihn die Ärzte bei einer Tauglichkeitsuntersuchung für den Wehrdienst als tuberkuloseverdächtig und rieten ihm, in eine gesündere, waldreiche Gegend überzusiedeln. So kam Max Hoelz 1912 als Landvermesser nach Falkenstein im Vogtland. Nebenbei arbeitete er als Filmerklärer, wobei er seine Redegewandtheit übte und ausbaute. Abends lernte er weiter. Er heiratete die Tochter eines Fuhrunternehmers, Klara Buchheim, und bezog eine Wohnung in der Falkensteiner Amtsstraße.

Falkenstein war das industrielle Zentrum der damaligen Amtshauptmannschaft Auerbach. Mit Beginn des 1. Weltkrieges ging die Produktion der hier Monopolstellung innehabenden Textilindustrie rapide zurück. Die Männer wurden zum Militär eingezogen oder als Rüstungs- oder Armierungsarbeiter in Großstädte wie Chemnitz, Leipzig, Berlin u. a. verpflichtet. Das ohnehin schon karge Leben der Arbeiterfamilien wurde dadurch noch ärmlicher. Viele rangen um die nackte Existenz.

Max Hoelz meldete sich sofort bei Kriegsbeginn zu den Sächsischen Königshusaren. Wie viele Deutsche glaubte er, sein Vaterland vor Feinden schützen zu müssen. Er kam an verschiedenen Abschnitten der Front im Westen und Osten zum Einsatz.

In Galizien (Gebiet zwischen oberer Weichsel und oberen Pruth) hörte er 1917 von der Oktoberrevolution in Rußland und lernte dort auch Georg Schumann, ein maßgebliches Mitglied der Spartakusgruppe, kennen. Fünf Wochen hatte er täglich Kontakt mit ihm. Die furchtbaren Kriegserlebnisse und die Erklärungen Schumanns ließen ihn vom "unpolitischen", christlichen, königstreuen Staatsbürger zum streitbaren Humanisten, leidenschaftlichen Kämpfer gegen die scheinheilige bürgerliche Ordnung werden.

Fünf Jahre später erinnerte er sich dieser Begegnung:

"Als ich auf so eigentümliche Weise 1917 in Galizien Deine Bekanntschaft machte, hing ich vollkommen in der Luft. Das Alte in mir stürzte, etwas Neues konnte ich nicht finden. Dafür fehlte jede Voraussetzung und Anregung. Den allerersten Schimmer einer neuen Weltanschauung für mich, der gleich Blitzstrahlen meine inneren Kämpfe beleuchtete, hast Du mir damals vermittelt. Nicht allein durch das, was Du mit mir u. den anderen besprachst u. die Schriften, die Du bei Dir hattest, sondern vor allem auch durch die ganze Art Deines Wesens, Deines Auftretens, Deine damalige göttliche Ruhe u. absolute Sicherheit hat einen nicht geringen Eindruck auf mich gemacht, ebenso aber auch auf die anderen. Wer in dieser Situation sein seelisches Gleichgewicht so bewahrt wie Du, der mußte seiner Sache verteufelt sicher sein. Das war der erste und nachhaltigste Eindruck, den ich von Dir empfing.
Allgemein wurde angenommen, daß Dir das famose Kriegsgericht 10 Jahre Zuchthaus aufhängen würde. Der Schreiber von der Ortskommandantur, ein mit allen Salben geschmierter Junge, gab uns dann ein anschauliches Bild von der Verhandlung vor dem Kriegsgericht. Er hatte an der Türe gelauscht, darin war er Fachmann, und schilderte, wie Du mit Deiner Ruhe den Kriegsgerichtsrat aus der Ruhe gebracht hattest, und ihm Nüsse zwischen die Zähne klemmtest, an denen er sich die Zähne ausbiß.
Der Gedanke an Dich, Deine Worte und Ziele hat mich dann nicht mehr los gelassen. Ich fuhr dann nach Kriegsende nach Leipzig u. erkundigte mich bei der Leipziger Volkszeitung nach Deinem Aufenthalt, und erfuhr dort, daß Du noch nicht zurück, aber doch wohl auf dem Rückmarsche seiest. Und dann gelang es mir doch, Dich für eine Versammlung in Falkenstein zu gewinnen. Für mich warst Du jedenfalls damals der Inbegriff des neuen Werdens. Daß dann bei mir das Gefühl mit dem Verstande durchging, war wahrhaftig kein besonderes Wunder. Mir fehlte jede theoretische Grundlage. Ich fühlte das Neue, das Werden aus dem Vorgehenden, aber sein eigentliches Wesen, seine wichtigsten Zusammenhänge vermochte ich nicht zu erkennen. Seit unserem letzten Zusammensein habe ich ja nun allerdings eine harte Schule durchgemacht, und ich glaube, ich habe in dieser Schule manches gelernt. Es wäre aber auch gut, wenn andere Genossen mit aus meinen Fehlern gelernt hätten. Ich meine damit vor allem die Genossen in der kommunistischen Arbeiterpartei, bei den Rühleanern und in der A.A.U.
Wer heute noch von diesen Genossen auf dem Standpunkt der Einzelaktion, der sogenannten Propaganda der Tat und andere spezifische Methoden der K.A.P. steht, der hat nichts gelernt aus der Vergangenheit und wird kaum jemals etwas daraus lernen. Für sie ist es besser, wenn sie ihr Domizil auf der Raabeninsel aufschlagen u. dort Frösche fangen.
Es gibt nur einen Weg, um vorwärts zu kommen, nach all den mannigfachen Rückschlägen der letzten Jahre: Sammlung aller revol. Kräfte im Rahmen der K.P.D., keine Einzelaktion, sondern einheitliches Handeln unter Zentraler Leitung im Sinne des kommun. Programms. Alles andere, auch wenn es noch so gut gemeint u. mit Tapferkeit ins Werk gesetzt wird, führt immer nur zur Zersplitterung und Zermürbung wertvoller Kräfte, ohne der Sache auch um ein geringstes zu nützen. Die Genossen von der K.A.P. und von all den anderen kleinen Gruppen u. Grüppchen müssen auch einmal den Mut aufbringen, etwas zu tun, was scheinbar ein Rückwärtsgleiten ist, in Wirklichkeit aber uns eine Sammlung aller Klassenkämpfer zu einer einzigen Kampfreihe.
Die Genossen von der K.A.P., der A.A.U. usw. in Halle, Merseburg, Hettstedt, Helbra, Eisleben und in Leipzig müssen ihren Brüdern in der K.P.D. die Hände zu einem festen Bunde reichen, dann kann sich Hörsing und seine Handlanger die Zähne ausbeißen an dieser Phalanx."
Im November 1918 kehrte Hoelz nach Falkenstein zurück. Sofort setzte er sich für die Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrates ein. Um seine gewonnenen politischen Anschauungen auch praktisch umzusetzen, schloß er sich der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) an. Bald merkte Hoelz, daß diese Partei von Zentristen und Pazifisten geführt wurde und keine wahre Kampfpartei für die Interessen des Proletariats war.

Als herausragendes Ergebnis der deutschen Novemberrevolution hatte sich am 31. Dezember 1918 die Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund) konstituiert. Sofort gingen ihre aktivsten Mitglieder daran, überall Ortsgruppen der KPD zu bilden. Max Hoelz trat Ende Januar 1919 zur KPD über und wurde Mitglied des Ortsgruppenvorstandes Plauen der KPD. Er initiierte gemeinsam mit dem Chemnitzer Eugen Steinert, eine kommunistische Volksversammlung im Hotel Zum Falken in Falkenstein. In dieser Versammlung am 12. Februar 1919 wurde die Ortsgruppe Falkenstein der KPD gegründet, die am 19. Februar 1919 ihre erste Mitgliederversammlung im Gasthaus Zum Fuchs, genannt Hackepeter, durchführte.

Max Hoelz war führend am Kampf der Plauener Arbeitslosen um die Verbesserung ihrer sozialen Lage im Februar 1919 beteiligt. Als dieser Kampf durch das opportunistische Verhalten der rechten Plauener USPD-Führer und mit militärischer Gewalt beendet wurde, wandte er sich seinem Wohnort Falkenstein zu. Am 24. April 1919 wählten die Falkensteiner Arbeitslosen einen neuen, kommunistischen Arbeitslosenrat, dessen Vorsitzender Max Hoelz wurde. Konsequent und energisch trat dieser Rat für die Interessen der Erwerbslosen und der notleidenden Bevölkerung ein. Dabei beschränkte er sich nicht auf Appelle und Forderungen, sondern ging zu praktischen Aktionen über.

Die Unterstützungssätze für Erwerbslose und Kriegerwitwen wurden auf sein Betreiben erhöht, Brennmaterial und Lebensmittel herbeigeschafft, Hamstererlager wurden requiriert und eine gerechte Verteilung lebensnotwendiger Güter gesichert. Dreimal wurde Falkenstein in dieser Zeit von Militär besetzt, um das von den Kommunisten eingeführte Gerechtigkeitsregime zu beseitigen. Die Falkensteiner wehrten sich. So erzwangen sie nach der ersten Besetzung durch die Festnahme des Bürgermeisters und weiterer Honoratioren der Stadt als Geiseln die Freilassung von verhafteten Mitgliedern des Arbeitslosenrates.

Als nach der zweiten Besetzung eine Bürgerwehr, die schnell gebildet worden war, Hoelz festsetzen wollte, wurden diese "tapferen Krieger" entwaffnet und nach Hause gejagt. Auch zu Beginn der dritten Besetzung verhinderten die Falkensteiner Arbeiter die Festnahme von Max Hoelz und befreiten ihre Gefangenen aus dem Falkensteiner Amtsgericht. Nach der Niederschlagung der Bayrischen Räterepublik wurde die Reichswehr verstärkt gegen die revolutionären Unruheherde, wie auch gegen Falkenstein, eingesetzt. Max Hoelz und Eugen Steinert, die als die führenden Persönlichkeiten der KPD im Vogtland angesehen wurden, standen auf der Fahndungsliste und mußten illegal arbeiten.

Max Hoelz verließ zeitweilig das Vogtland. Er besuchte einen Zwei-Wochen-Kursus der KPD in Walsrode (Lüneburger Heide), der von Otto Rühle (den man den "sächsischen Karl Liebknecht" nannte) geleitet wurde. Als Agitator der KPD wurde er in Mitteldeutschland und in Bayern eingesetzt. Im Hannoverschen gelang es der Polizei, seiner habhaft zu werden. Kampfgenossen aus Falkenstein befreiten ihn wieder aus dem Gefängnis. Mehrmals tauchte der steckbrieflich Gesuchte auch in Falkenstein auf.

In der Nacht vom 12. auf den 13. März 1920 zog die Marinebrigade Ehrhardt mit Hakenkreuzen an den Helmen und kaiserlichen Fahnen in Berlin ein. Die Regierung wurde für abgesetzt erklärt, die Nationalversammlung aufgelöst. Generallandschaftsdirektor Kapp übernahm das Amt des Reichskanzlers, Freiherr von Lüttwitz war militärischer Führer des Putsches. Noch am selben Tag, einem Sonnabend, rief die KPD-Bezirksleitung Erzgebirge-Vogtland zum bewaffneten Widerstand gegen den Kapp-Putsch, zum Kampf um die politische und militärische Macht auf. Am Abend des 13. März 1920 traf Max Hoelz, aus Oberfranken kommend, in Oelsnitz/Vogtland ein. Hier vereinbarte er mit den Genossen der KPD-Ortsgruppe um Georg Dittmar und Arno Rudert, den Kampf gemeinsam mit den Falkensteiner Arbeitern zu führen. Falkenstein war, wie Plauen und Treuen, in Vorbereitung auf den Putsch seit Anfang Februar 1920 von der Reichswehr besetzt. Zwar gelang es den Falkensteiner Arbeitern, am 15. März 1920 einige Waffen zu erbeuten, doch war das Kräfteverhältnis zu ungleich, um die Herrschaft über die Stadt zu erlangen.

Hoelz wandte sich mit seinen Kämpfern nach Auerbach. Hier war gerade im Schützenhaus ein Aktionsausschuß gewählt worden. Sofort zogen die Versammelten nach Auerbach-Mühlgrün, wo im Goldenen Anker eine Gendarmeriestation eingerichtet war. Die Gendarmen wurden im Handstreich entwaffnet und gefangengesetzt. Ein leichtes und ein schweres Maschinengewehr, zahlreiche Karabiner, Pistolen und Handgranaten wurden erbeutet.

Im Gesellschaftshaus "Harmonie", dem Auerbacher Sitz der Freimaurer, richteten die bewaffneten Arbeiter ihren Stützpunkt ein. In der Nacht rückte eine Abteilung Reichswehr heran. Es kam zu einem halbstündigen Feuergefecht, in dessen Verlauf ein Unbeteiligter durch eine verirrte Kugel fiel. Die Reichswehr zog sich nach Falkenstein zurück. Am frühen Morgen des 16. März 1920 rückte sie nach Plauen ab.

Die bewaffneten Arbeiter besetzten unter Leitung von Max Hoelz das Falkensteiner Schloß (heute Sparkasse und Heimatmuseum), welches zum Sitz des Falkensteiner Aktionsausschusses wurde. Wie vereinbart, nahmen der Falkensteiner und der Oelsnitzer Aktionsausschuß enge Verbindung auf, koordinierten ihre Tätigkeit und führten viele Aktionen gemeinsam durch. Georg Dittmar und Arno Rudert aus Oelsnitz widmeten sich besonders der politischen und Öffentlichkeitsarbeit, während Max Hoelz und Paul Popp aus Falkenstein stärker als militärische und organisatorische Führer in Erscheinung traten.

In Falkenstein wurde eine Rote Garde gebildet, in der alle bewaffneten Arbeiter militärisch organisiert waren. Als Kern dieser Volksmiliz bildete der Aktionsausschuß eine Arbeiterwehr, in die politisch organisierte Arbeiter eintreten konnten. Sie erhielten Löhnung, wurden im Schloß kaserniert und verrichteten Wach- und Patrouillendienst. Der Falkensteiner Anzeiger, die Lokalzeitung, wurde unter die Zensur des Aktionsausschusses gestellt. Die bewaffneten Arbeiter sorgten in der Stadt für Ruhe, Sicherheit und Ordnung.

Der einmütige Generalstreik im ganzen Land und die Erfolge der Arbeiter im bewaffneten Kampf gegen die Konterrevolution führten zu einem vollständigen Zusammenbruch des Putsches. Am 17. März 1920 mußte die Regierung Kapp abdanken. Am 18. März rief die Führung der SPD zum Abbruch des Generalstreiks auf, während die Zentrale der KPD am 19. März 1920 dazu aufforderte, den Streik fortzusetzen, bis die Reaktion entwaffnet und die Waffen in den Händen des werktätigen Volkes seien. Am 22. März 1920 vereinbarten SPD, USPD und Gewerkschaften die Beendigung des Generalstreiks ab 23. März.

Max Hoelz sah in den bewaffneten Aktionen des Proletariats gegen die Putschisten den Beginn der proletarischen Revolution, des Kampfes für die "proletarische Diktatur und die kommunistische Räterepublik". Um die Arbeiter zu bewaffnen, wurden am 17. März 1920 in Zwickau Waffen beschafft. In der Nacht vom 22. zum 23. März 1920 gelang es etwa 50 Falkensteiner und Oelsnitzer Arbeitern, gemeinsam unter dem Kommando von Max Hoelz 21 politische Gefangene aus dem Amtsgerichtsgefängnis Plauen zu befreien. Am Nachmittag des 23. März 1920 rückten bewaffnete Arbeiter aus Falkenstein und Oelsnitz unter Hoelz' Führung in Markneukirchen ein, um dort die Bürgerwehr zu entwaffnen, die die Aktionsausschüsse der umliegenden Orte bedroht hatte. Am 24. März 1920 sprach Hoelz in einer großen öffentlichen Volksversammlung im Falkensteiner Schützenhaus über den Kampf der Roten Ruhrarmee und die Perspektive der proletarischen Bewegung. Er war überzeugt vom Sieg des deutschen Proletariats, erkannte nicht, daß die Chancen für eine erfolgreiche sozialistische Revolution in Deutschland nicht mehr gegeben waren. Hoelz war der festen Überzeugung, daß, solange das Proletariat noch kämpft, eroberte Positionen gehalten werden müssen. Deshalb weigerte er sich, die Waffen niederzulegen und, der Erklärung der Zentrale der KPD vom 23. März 1920 entsprechend, den bewaffneten Kampf einzustellen.

Am 28. März 1920 sprach Hoelz in Plauen zu ca. 15.000 Menschen über die Ziele der Revolution, die in erreichbare Nähe gerückt seien. Nach dieser Versammlung zog er mit Angehörigen der Falkensteiner Roten Garde zur Neuen Vogtländischen Zeitung. Dieses bürgerlich-reaktionäre Blatt hatte ständig in besonders gehässiger Weise gegen die revolutionäre Arbeiterschaft gehetzt und direkt zum Mord an Max Hoelz aufgerufen. Die Falkensteiner drangen in das Verlagsgebäude ein, zerstörten die Druckmaschinen und verbrannten auf der Straße Geschäftspapiere.

Zur Finanzierung der Arbeiterwehr und zur Beschaffung von Lebensmitteln verlangte der Rote Vollzugsausschuß (ein engeres Leitungsgremium des Falkensteiner Aktionsausschusses um Max Hoelz) von Kapitalisten des Vogtlandes Geldspenden, die er auch erhielt - aus Plauen und Falkenstein, aus Lengenfeld, Markneukirchen, Klingenthal und Oelsnitz/V. Zahlreiche Aktionen der Roten Garde trugen dazu bei, ihren Ruf und ihr Ansehen unter den Arbeitern zu erhöhen.

Viele Proletarier aus Sachsen und anderen angrenzenden Gebieten kamen nach Falkenstein, der letzten bewaffneten Bastion der Arbeiterklasse, um hier "mit der Knarre in der Hand" für ihre Klassenideale zu kämpfen. Hoelz, Dittmar und die anderen Führer des vogtländischen Proletariats handelten im festen Glauben, mit ihren Aktionen zu den Zielen der KPD beizutragen.

Am 4. April 1920 forderten Beauftragte der KPD-Bezirksleitung Erzgebirge-Vogtland Hoelz auf, den geordneten Rückzug einzuleiten. Der Rote Vollzugsausschuß lehnte diese Aufforderung ab. Weil durch die von Max Hoelz geführten Aktionen falsche Hoffnungen in der Arbeiterklasse genährt wurden, die die Einheitlichkeit des Handelns der KPD gefährdeten, und Hoelz die Parteidisziplin bewußt verletzte, schloß ihn der Bezirksparteitag der KPD am 6. April 1920 aus der Partei aus. Die Volkszeitung für das Vogtland, eine Zeitung der USPD, berichtete darüber und druckte den Beschluß der Konferenz ab:

"Resolution über die Lage im Vogtland
Die Bezirkskonferenz der K.P.D. Erzgebirge-Vogtland erklärt den primitiven Kommunismus, der im Vogtland unter Führung von Hölz sich auftut, als überwundenen, den gegenwärtigen Machtverhältnissen des Kapitalismus nicht entsprechend, ab. Das Wesen des Kommunismus ist nicht, wie ein Oelsnitzer Aufruf ausspricht, dort wegzunehmen, wo was ist, um es dort hin zu tun, wo nichts ist. Kommunismus ist die zielklare Vorhut-Arbeit zur Sammlung der gesamten Arbeiterklasse, um in der gesamten Arbeiterklasse die revolutionäre Kraft zur Verwirklichung des Kommunismus, zur Umformung der Gesellschaftsordnung, zur Überführung des Privateigentums an den Produktionsmitteln in das Eigentum der ganzen Gesellschaft zu erwecken.
Die Taten des Hölz sind nicht die Folge großer revolutionärer Kraft des Vogtländischen und Erzgebirge-Proletariats, sondern im Gegenteil, ein Zeichen der revolutionären Ohnmacht. Das Erzgebirgische-Proletariat handelt nicht als Masse revolutionär, sondern sympathisiert nur mit Hölz, weil es hofft, daß Hölz mit seinen anderthalb Hundert todesmutigen Genossen für es die Revolution machen werde. Das ist eine gefährliche Illusion, die, wenn wir ihr nicht entgegentreten, die Entwicklung zu kommunistischer Klarheit hemmen muß. Die noch so opfermutigen Handlungen des Hölz können diese Kraftlosigkeit der Masse des Proletariats im Vogtland und im Erzgebirge nicht ersetzen. Im Gegenteil. Weil die Handlungen von Hölz nicht der wirklichen Kraft der Masse der Arbeiterschaft entsprechen (nur ihrem Wunsche), und weil die revolutionäre Gesamtlage Deutschlands nicht im siegreichen Aufstieg, sondern bereits wieder abgeebt, ist durch den verräterischen Abbruch des Kampfes, ehe er die alten Machtverhältnisse zu ändern vermochte, weil dem so ist, kann alles, was Hölz tut, der Festigung der revolutionären Macht der Arbeiterklasse nicht dienen. Es hat keinen Sinn, im Vogtland ein rote Armee zu organisieren, dieweil im übrigen Deutschland sich die Abwürgung der Ruhrbergleute ohne ernste Gegenwehr vollzieht.
Es ist erste Pflicht jedes politischen Handelns, die Aktionen des Proletariats miteinander in Einklang zu bringen; wir im Erzgebirge können im gegebenen Augenblick nicht isoliert vorwärts stürmen, sondern wir müssen Tritt fassen, bis die Arbeiterschaft im übrigen Reich uns eingeholt hat.
Obgleich wir die Hetze gegen Hölz der sächsischen Regierung und der gesamten Reaktion aufs schärfste bekämpfen werden, erklären wir hiermit öffentlich, daß wir die Aktionen von Hölz, die die Aktionen der Masse der Arbeiterschaft ersetzen sollen, ablehnen. Hölz stellt sich mit seinen Leuten durch seine wirren Aktionen außerhalb der Partei, da die Partei nur leben kann, wenn die Parolen der Gesamtpartei ausgeführt werden."

(Bereits im November 1920 nahm ihn der 5. Parteitag der KPD auf Antrag des gemeinsamen Delegierten für Oelsnitz und Falkenstein, Georg Dittmar, wieder in die Partei auf.)

Nach der Niedermetzelung der Roten Ruhrarmee schickte sich die Reichswehr an, das rote Vogtland zu erwürgen. Hoelz sah die Sinnlosigkeit eines bewaffneten Kampfes seiner etwa 300 Mann starken Roten Garde gegen die 50.000 eingesetzten, wohlausgerüsteten und erprobten Söldner ein. Mit furchterregenden Proklamationen und Aufrufen versuchten er und seine Genossen, die Reichswehr vom Eindringen in das Vogtland abzuschrecken. So erschien am 30. März 1920 im Falkensteiner Anzeiger, der unter Zensur des Roten Vollzugsrates stand, der

"Aufruf an die besitzende Klasse:
Nachdem uns bekannt geworden ist, daß von verschiedenen Seiten darauf hingewirkt wird, reaktionäre Truppen (Reichswehr) nach dem Vogtlande zu ziehen, um die Herrschaft der Arbeiterklasse zu brechen und die Aktionsausschüsse aufzulösen, geben wir folgendes bekannt:

Proklamation des Generalstreiks,
Stillegung aller Betriebe, auch der lebenswichtigen.
Sollte diese erste Maßnahme nicht genügen, um den Einmarsch der Truppen zu verhindern, so würden wir auch nicht davor zurückschrecken, die Maschinen in den Betrieben zu zerstören und als äußerstes und letztes Mittel würden wir gezwungen sein, die Villen, überhaupt alle Häuser der besitzenden Klasse, sowie die Gebäude der Behörden, Staatsgebäude usw. in Brand zu setzen oder in die Luft zu sprengen. Was dadurch heraufbeschworen würde, können sich die betreffenden Klassen selbst ausmalen. Wir warnen daher jedermann, reaktionäre Versuche zu unterstützen und machen wir für die daraus entstehenden Konsequenzen die in Frage kommenden Kreise verantwortlich.
Solange die alte Regierung und die Reichswehrtruppen nichts gegen die Herrschaft der Arbeiter unternehmen, werden wir selbst mit allen Kräften für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung sorgen.
Achtung!
Als Maßnahme gegen den eventuellen Einmarsch der Truppen hat sich ein Brandkomitee gebildet, das beim Herannahen der Truppen sofort in Tätigkeit tritt.
Achtung!
Wenn gegen einen Vertreter der Arbeiter oder gegen einen Arbeiter überhaupt, sowie gegen den Genossen Hoelz ein Anschlag (Attentat) usw. verübt wird, dann tritt das Rachekomitee in Tätigkeit und wird unter der besitzenden Klasse aufräumen.
Der rote Vollzugsausschuß"

Der Ring um das Vogtland wurde immer fester. Im festen Glauben, daß bewaffnete Arbeiter aus anderen Landesteilen den bedrängten Vogtländern zu Hilfe kommen würden, harrten die Falkensteiner aus und erließen eine Woche später einen noch radikaleren Aufruf:
"Erklärung.
Die revolutionären Arbeiter des gesamten Vogtlandes und der angrenzenden Gebietsteile erblicken in der Tatsache, daß die konstitutionelle Regierung des Freistaates Sachsen den Kopfpreis für die Auslieferung des Genossen Max Hoelz auf 30.000 Mk. erhöht hat in einer Zeit, in der die Arbeiter Deutschlands aufgerufen wurden, der Schlange der Reaktion den Kopf zu zertreten, eine ungeheure Provokation, eine Kampfansage an das revolutionäre Proletariat und Tausende von revolutionären Arbeitern sind fest überzeugt von der Reinheit seiner Ziele, seiner Ideale. Der Genosse Hoelz unterscheidet sich von anderen Arbeiterführern nur durch eine ausgeprägte Klarheit seines Willens und durch eine unbeugsame Energie.
Im Vogtland ist weder die Räteregierung ausgerufen, noch ist irgendwie die Staatsform (politisch und wirtschaftlich) angetastet worden. Wo irgendwelche Eingriffe geschehen sind, sind diese Produkte des Kampfes, der mit der Proklamation des Generalstreiks von seiten der gefährdeten konstitutionellen Reichsregierung eingeleitet wurde oder waren sie notwendig aus Gründen der schreienden Not und der furchtbaren sozialen Ungerechtigkeit, die das gesellschaftliche Leben heute aufweist. Im übrigen aber ist im Vogtland nur geschehen, was allenthalben im Reiche angesichts der drohenden reaktionären Gefahr notwendig war, die Bourgeoisie und das Bauerntum, die in einer Weise bewaffnet waren, daß der Arbeiterschaft erst heute die Größe der Gefahr recht zu Bewußtsein kommt, sind entwaffnet worden und die Waffen sind in Händen der Arbeiter. Und diese Waffen wird die revolutionäre Arbeiterschaft des Vogtlandes freiwillig nicht wieder aus den Händen geben. Wir wissen, und der Aufruf der sächsischen Regierung läßt es deutlich erkennen, daß der Wille vorhanden ist, der Arbeiterschaft die Waffen zu entwinden. Das bedeutet, daß man den alten gefährlichen Zustand wieder herstellen will, bedeutet, daß man die Arbeiterschaft rettungslos dem Wüten der Reaktion, Mord und Tod, dem weißen Terror, preisgeben will. Wir können niemand hindern, Truppen ins Vogtland zu senden, aber wir sind uns vollständig klar darüber, daß es dann für uns nur eines geben kann, den Kampf mit allen Mitteln auf Leben und Tod, Kampf bis zum Sieg oder zur Niederlage, Kampf unter allen Umständen, auch mit den verzweifeltsten Mitteln, das ist für diesen Fall die Parole der revolutionären Arbeiterschaft des Vogtlandes. Noch ist kein Tropfen Blut geflossen, aber wir, die wir mit dem Leben abgeschlossen haben, werden nicht aus der Welt gehen, ohne den Teil der Bourgeoisie ohne Unterschied des Alters und des Geschlechts mitzunehmen, den wir erreichen können. Ein Teil der handlichsten Schuß- und Sprengwaffen ist in den Händen entschlossener Genossen außerhalb unseres Gebiets. Diese Genossen haben geschworen, den Tod der revolutionären vogtländischen Arbeiter zu rächen durch Attentate auf die Spitzen der deutschen Bourgeoisie, wie auf diejenigen bekannten Führer in der deutschen Arbeiterbewegung, deren Verrat offen bekannt wird. Wir revolutionären Arbeiter des Vogtlandes haben bewiesen, daß wir handeln können - wie werden handeln.
Man hat uns gelehrt, daß die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln (Erfurter Programm) Voraussetzung sei für den Aufbau der sozialistischen Ordnung, man hat uns gelehrt, daß die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein kann und man will nun wieder uns die Waffen entreißen, um sie denen zu geben, die die Befreiung der Arbeiterklasse, unser alleiniges Ziel, nicht wollen können. Wir leiden seit Monaten, seit Jahren ungeheuer und wir sind nicht mehr imstande, all die vielen Zumutungen zu ertragen, ohne seelisch zu zerbrechen. Wir warten sehnenden Herzens auf den welterlösenden Sozialismus, wir kämpfen für ihn, für nichts anderes, und wenn man uns den Glauben an den Sozialismus aus den Herzen reißen will, dann allerdings soll man Reichswehrtruppen schicken, dann werden wir ausgehungerten, ausgemergelten vogtländischen Arbeiter den einzigen Weg gehen, der uns zu gehen übrig bleibt,
den Weg in den Tod!
Für die revolutionäre Arbeiterschaft des Vogtlandes und der angrenzenden Gebietsteile die Ortsgruppen der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund):
Falkenstein, Grünbach, Ellefeld, Auerbach, Hinterhain, Lengenfeld, Klingenthal, Oelsnitz, Adorf, Zeulenroda, Gera, Greiz, Reichenbach, Ruppertsgrün, Crimmitschau, Werdau, Schönfels, Zwickau, Niederplanitz, Oberplanitz, Oberhohndorf, Crossen, Thalheim, Oelsnitz i. Erzgeb., Ortmannsdorf, Heinrichsort, Lößnitz, Aue, Schlema."

Um aussichtslose Kämpfe und Blutvergießen zu vermeiden, jedoch auch, um die bewaffnete Macht der Arbeiter zu erhalten, zog sich die Rote Garde in Richtung Klingenthal zur CSR-Grenze zurück. Auf CSR-Seite waren kriegsstarke Einheiten aufgezogen, denn man fürchtete ein Ausweiten des "kommunistischen Aufstandes" auf tschechisches Gebiet. Viele seiner Kämpfer, auch Max Hoelz, gingen nach Verhandlungen mit den tschechoslowakischen Behörden über die Grenze und ließen sich internieren. Hoelz selbst wurde in der CSR wegen verbotenen Waffenbesitzes verurteilt und vier Monate im Zuchthaus Karthaus eingesperrt.

Über den Strafprozeß gegen Max Hölz schrieb sein deutscher Rechtsbeistand, der Rechtsanwalt Ernst Hegewisch vom Oberlandesgericht Celle, welcher der Gerichtsverhandlung in Gitschin als Zuhörer beigewohnt hat, folgenden Bericht:

"Vor dem Senat des Kreisgerichts in Gitschin (Tschecho-Slowakei) fand am 19. Juli unter überaus zahlreichem Andrang des Publikums die Verhandlung gegen den Kommunisten Max Hoelz aus Falkenstein i.V. wegen der Straftaten statt, die er in unmittelbarem Anschluß an seine Flucht aus Deutschland auf dem Boden der Tschecho-Slowakei begangen haben sollte.
Dem Angeklagten wurde von der tschechischen Staatsanwaltschaft das Verbrechen der ´öffentlichen Gewalttätigkeit durch gefährliche Drohung gegen obrigkeitliche Personen in Amtssachen sowie Verbrechen gegen das Sprengstoffgesetz zur Last gelegt, weil er bei seiner Untersuchung durch tschechische Gendarmen eine Handgranate bei sich führte und mit dieser die Beamten bedroht haben sollte, um der Inhaftierung zu entgehen. Der Angeklagte gab zu, bei der Untersuchung im Wachtzimmer der Gendarmerie-Station von Marienbad eine Handgranate, die er bei sich trug, in die Hand genommen zu haben; er will dies aber nicht getan haben, um den Gendarmen Furcht einzujagen, sondern um die Handgranate zu verstecken.
Der Gendarmerie-Wachtmeister Hönig, der den Angeklagten untersucht hat, gibt aber als Zeuge seiner Meinung dahin Ausdruck, daß der Angeklagte ihn mit der Handgranate habe bedrohen wollen. Der Zeuge vermag jedoch auf den Vorhalt des Verteidigers Dr. Porel (Prag) keine Erklärung dafür zu geben, warum er dem Angeklagten die Handgranate nicht sofort abgenommen habe, obwohl doch der Angeklagte unmittelbar vor ihm gestanden habe und obwohl sich im Untersuchungszimmer noch zwei weitere Gendarmen befunden hätten."

***



 

II. Kapitel
Wie alles begann...


Bernd Kramer

Lebensmittel, Löffelklau, Lesben und erpreßte "Spenden"


Zu Zeiten des real existierenden Nominalsozialismus gab es eine Kaste, die in Hörsälen, Fachzeitschriften, Kolloquien und Parteizeitungen von den "objektiven Bedingungen" in der Ökonomie und der Gesellschaft redete, referierte und schrieb. Das ist zum Glück vorbei, das haben wir hinter uns, denn "objektiv sein heißt, den anderen behandeln wie ein Objekt, wie einen Kadaver, sich ihm gegenüber wie ein Leichenbestatter betragen".

Lassen wir das Nekrophile beiseite und wenden uns den verschiedenen Wirklichkeiten, Ansichten, Einsichten und Absichten zu. Wir stellen fest, daß die Wirklichkeiten von uns, je nach Talent, Verstand, Phantasie, Religions-, Klassen- und Gehaltszugehörigkeit, sehr unterschiedlich wahrgenommen werden; ja, die Wirklichkeiten werden wie ein Streichinstrument derart bearbeitet, daß wir bisweilen erstaunt sind, welch ein Tongemisch dabei heraus kommt. - Vorerst halten wir uns an die 68er Devise: Weshalb sachlich, wenn´s auch persönlich geht.

Donnerstag, den 9. April 1992, Karin und ich in Falkenstein. Ich will zum Rathaus, um eventuell ein Gespräch mit dem Bürgermeister Herrn Rauchalles zu führen. - Karin derweil in der Stadt, sie notierte: "In der Nähe des Rathauses liegt ein wuchtiger schwarz-blauer (Marmor)-Block auf dem Rasen und auf diesem umgekippten Gedenkstein der Schriftzug ´Ernst Thälmann´. Einige Meter weiter, vor einer Schule, an der Straße nach Ellefeld, eine aufrechtstehende Gedenkplatte, aus der nur noch Stifte herausragen, die eine Figur, ein Relief oder was immer gehalten haben. Kein Hinweis, wem der Gedenkstein gegolten hat. Ich frage einen Schüler: ´Das war für Dimitroff´ und eine vorbeikommende Passantin bestätigt es. Auf meine Frage, ob sie Max Hoelz kenne, etwas über ihn wisse. ´Natürlich, der Zündel-Max.´ Zündel-Max? Wieso das? ´Der hat doch hier in Falkenstein damals mehrere Häuser in Schutt und Asche gelegt. Der war gar nicht von hier.´ - Im Tierpark ein Gespräch mit einem Besucher. ´Ja, es sollen seinerzeit fünf Villen angesteckt worden sein, aber nicht von Hoelz. Diese Geschichte, er sei ein Brandstifter gewesen, hat wohl die Frau eines Fabrikbesitzers in Umlauf gesetzt, die scharf auf ihn war; es hieß, er habe sie abblitzen lassen, hätte sie zu einem Rendezvous bestellt, sei aber nicht hingegangen. Das ist aber ganz sicher nicht seine Art gewesen: Er hat die Frauen geliebt und sie ihn. Er wohnte in dem Haus, in dem sich heute ein Bestattungsinstitut befindet. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich damit, daß er im Kino (damals gab´s nur Stummfilme) Klavier spielte. Zu seinem 100. Geburtstag, als der Gedenkstein errichtet wurde, mit viel Pomp und Prominenz, war auch seine frühere Frau aus Moskau anwesend. Etliche Leute waren gegen die Errichtung des Denkmals, aber der SED galt Hoelz, und das zu Recht, als Klassenkämpfer, dem auf jeden Fall ein Denkmal gebührt.´ - Nach der Wende hatte die SED das Nachsehen, es gab nur einen PDS-Vertreter im Rathaus. Man stimmte darüber ab, Abriß oder nicht; irgendwann wurde die Büste klammheimlich entfernt. Im Heimatmuseum ist der Raum, der dem Gedenken an Max Hoelz gewidmet war, geschlossen. Die dort ausgestellten Stücke warf man weg. Die Lederjacke und die Mütze wurden im Jugendzentrum, das sich im Tierpark befindet, abgegeben; aber irgendwann waren sie ein für alle mal weg. Zu DDR-Zeiten gab es einen sogenannten Geschichtspfad in Falkenstein. Der führte an den Häusern vorbei, in denen bekannte Widerstandskämpfer gewohnt hatten, und zu einem flachen Gebäude (gleich hinter dem Tierpark) - einer ehemaligen Kneipe, in der sich die KPD-Zelle Falkenstein nach ihrer Gründung 1919 immer getroffen hatte. Schulklassen wurden im Heimatkundeunterricht diesen Pfad entlang geführt, und an den geschichtsträchtigen Stellen stand jeweils ein Antifaschist und referierte kurz über die Personen und die geschichtlichen Hintergründe. Vor dem Heimatmuseum war der Rundgang dann beendet, der jedesmal mit dem Absingen von ´Völker hört die Signale´ seinen Abschluß fand."

Ein Gespräch mit dem Bürgermeister kam nicht zustande.

Im Gespräch mit Herrn Pfau, Museumsdirektor des Heimatmuseums Falkenstein, erfahre ich: Bereits 1987 begann die SED mit den Vorbereitungen für eine Würdigung für Max Hoelz. Die Entscheidung für das Gedenken traf die SED allein, andere Parteien wurden nicht in die Vorbereitungen einbezogen.- Zum 40. Jahrestag der DDR fand die Denkmaleinweihung unter großer Beteiligung der Medien statt - Presse, Rundfunk und Fernsehen waren anwesend. Die Laudatio hielt Siegfried Lorenz. Die Kosten betrugen insgesamt ca. 200.000 Mark. - Die SED wollte keine Kabinett-Ausstellung, sondern einen großen Raum, was Herr Pfau aber ablehnte. Diskussionen, Auseinandersetzungen waren die Folge. - Nachdem das Denkmal nun errichtet war, gab es Diskussionen um Max Hoelz: Hoelz sei kein Falkensteiner gewesen, man hätte einen Antifaschisten aus Falkenstein würdigen sollen; Hoelz sei ein Weiberheld, ein Brandstifter gewesen. - Nachdem das Hoelz-Denkmal mit unflätigen Parolen beschmiert worden war, mehrere Bürger anonym gedroht hatten, es zu demolieren, wurde beschlossen, den Bronzekopf vom Sockel zu nehmen, und ins Heimatmuseum zu stellen. Die Hoelz-Büste wurde zweimal gegossen, und eine ist in der ehemaligen Max-Hoelz-Schule, heute heißt sie 2. Oberschule - soweit Herr Pfau.

Ich frage einen Passanten, wo die Max-Hoelz-Schule ist. Sie gehen die Lassalle-Straße runter und dann links an der Pestalozzistraße, dort ist die Schule. - Der Name Max Hoelz ist über dem Haupteingang der Schule entfernt worden. Ich frage zwei ca. 12jährige, die vor der Schule mit einer Coca-Cola-Büchse herumbolzen, ob sie wüßten, wo die Max-Hoelz-Büste in ihrer Schule stehe - wissen sie nicht. Ich rein in die Schule, in irgendein Lehrerzimmer. Ein ungefähr 50jähriger weißbekittelter Lehrer ist im Raum. Auf meine Frage, ob ich den Hoelz-Kopf photographieren dürfe, reagiert er ausgesprochen verblüfft, ja nervös; nein nein, das geht nicht. Sie müssen den stellvertretenden Herrn Direktor fragen, aber der ist zur Zeit krank. Schulterzuckend und leicht devot deutet er an: Ich bin doch nur Lehrer hier.

Im "Ferienobjekt Glück auf" frage ich eine junge Kellnerin, ob sie weiß, wer Max Hoelz war ist; nein, den kennt sie nicht. Die Frau an der Rezeption weiß vom Abriß des Denkmals und daß Hoelz "gebrandstiftet" hat.

***

In der FREIEN PRESSE (Chemnitz), Freitag, 11. September 1992, erschien neben der Rezension des Buches, Demontage... revolutionärer oder restaurativer Bildersturm ein kurzer Hinweis: Max Hoelz Buch geplant. Bernd Kramer hat für das kommende Frühjahr die Herausgabe eines weiteren Buches geplant. Das Projekt soll sich mit Max Hoelz befassen. Wer Dokumente und Erinnerungen an diese, aus dem Vogtland stammende widerspruchsvolle Gestalt der deutschen Arbeiterbewegung hat und sich damit in diese Publikation einbringen möchte, kann sich an den Karin Kramer Verlag wenden.

Sozusagen in Paranthese gesetzt, widerspreche ich Theodor Lessing, der meinte, daß der Geschichtsschreiber, so fein und zart, so geduldig und gewissenhaft er sein mag, dem Leben nachzuspüren; nie wird er es erreichen.
Die zugesandten Briefe und Photographien widerlegen Lessing, denn sie sind sehr lebendige Geschichtszeugnisse. Die kurze Notiz in der FREIEN PRESSE veranlaßte einige Leserinnen und Leser, an den Verlag zu schreiben.
Aus Dorfchemnitz, Kreis Stollberg/Erzgebirge, erhielten wir von einer 80jährigen diesen Brief:
"Mein Vater, in den 50er Jahren verstorben, Herzleiden vom ersten Weltkrieg her, hat mir in seinem langen und schweren Leben oft viel erzählt, was mich als junge Maid immer interessierte. Vor meiner Geburt arbeitete er im Vogtland und Erzgebirge, nach meiner Geburt zogen wir ins sächsische Niederland. Im Stahl- und Walzwerk Riesa-Gröba hat er hart gearbeitet - es war die Weimarer Republik - im ehemaligen Truppenübungsplatz Zeithain war zu dieser Zeit (eine) Siedlung entstanden und wir siedelten mit. Im Lager Zeithain hatte die ehemalige Reichswehr noch die Offiziers-Barracken belegt, und in den großen Kiefernwäldern führten sie täglich große Übungen durch... Die lange Arbeitszeit im Werk nahm ihn sehr mit. - Es wurden Gewerkschaften gebildet, sie kämpften für den 8 Stunden Tag! Ebenso Kampf für um Urlaub für alle.
Also, in den Gewerkschaftsversammlungen ging es um diese Dinge. Vater war redegewandt, man wollte ihn schon zum Vorsitzenden machen. Das lehnte er ab, er kämpfte für a l l e !
Es gab auch damals in den 20er Jahren keine Butter zu kaufen, nur Margarine. Auf den Straßen sang man: In unsrem Staate, gibt´s nur Marmelade! Es gingen schon die tüchtigsten Arbeiter ins Ausland und wollten Farmer werden. Rundfunk gab´s noch keinen, aber mein Vater las immer Zeitungen, um von der Welt etwas zu wissen. Da hat er uns einmal zu Hause vorgelesen, daß im hohen Vogtland ein Mann namens Hölz so richtig s e i n Mann wäre. Was d i e s e r will, das will ich auch. Oh, wie freute er sich, daß es noch so einen mutigen Mann gab, der für die Arbeiterschaft auch was hohes, großes erkämpfen will. ´Das ist mein Mann!´ sagte er.
Der erste Weltkrieg war verloren, Vater war 6 Jahre bis zur Gefangennahme an der Front dabeigewesen, kam erst 1919 zurück, wollte eine neues, gutes Deutschland wieder mit aufbauen helfen, daher kämpfte er in Versammlungen mit. Es ging hart her. Ich war damals 13jährig und wenn Vater wieder abends lange aus war, ging Mutter mit mir ins gr. Kasino, dort sahen wir ihn am Podium in der überfüllten Versammlung reden. Wir warteten. Er rief: ´Leute, kennt Ihr Max Hölz!!? Nein?? Dann lest da vorn am schwarzen Brett das Neueste, ich habe es angeheftet, damit Ihr im Bilde seid, was dieser Mann für Euch tut!!!´"

Der zweite Brief kam aus Chemnitz:
"Betr.: Artikel in der ´Freien Presse´, Chemnitz v. 11. 9. 92 - ´Demontage oder Bildersturm´;
In dem o. g. Artikel geben Sie die Absicht kund, über die widerspruchsvolle Gestalt von Max Hölz ein Buch zu schreiben. Ich kann mich nicht in die Publikation mit einer eigenen Veröffentlichung einbringen, aber aus der ´Familiengeschichte´ eine Erfahrung beitragen: Meine Mutter stammt aus Falkenstein/Vogtl. Ihre Eltern hatten dort den Gasthof ´Goldener Stern´. Aus den Zeiten, als dort Max Hölz mit seinen Anhängern sein Wesen bzw. Unwesen trieb, hat sie uns berichtet, daß die Falkensteiner Bewohner über die Straßenschlachten und die angezündeten Villen von Fabrikanten usw. sehr empört waren. In der großelterlichen Gaststätte mußte für Max Hölz und seine Truppe einmal gekocht werden. Nach dem Essen (Eintopf) waren alle Löffel mit den ´Gästen´ verschwunden. Die resolute Großmutter ging in das ´Schloß´, wo Max Hölz seinen Stützpunkt hatte, und forderte die Löffel zurück. In barscher Weise fuhr er sie an, sie solle verschwinden oder er würde sie erschießen. Ohne Löffel mußte sie sich zurückziehen."

Gewiß haben Hoelz und seine Mitkämpfer Lebensmittel, Geld, Pferde, Autos, Waffen requiriert; aber Löffel? Zu dieser Löffelklau-Geschichte äußert sich Prof. Dr. Alfons Wätzig kurz und knapp: "... gestohlene Löffel - die ´Rote Garde´ waren keine Diebe!"
Ein weiterer Zeitzeuge aus Werdau/Thüringen berichtet: "Ich bin jetzt im 92sten Lebensjahr und kann mich noch gut an die Zeit des Kapp-Putsches (März 1920) und auch an Max Hölz erinnern. Obwohl ich damals nicht in Falkenstein wohnte, aber einiges mit Max Hölz ereignete sich auch in Werdau und Umgebung.
1. In Werdau war die Begräbnisfeier für die zwei Märzgefallenen beendet. Ich lief mit 2 Jugendfreunden, da (hörten) wir zufällig vor uns den Grabredner Fritz Heckert aus Chemnitz, den Leiter der Arbeiterwehr von Werdau, Ernst Grube, und in ihrer Mitte Max Hölz in einer ziemlich heftigen Diskussion. Alles konnten wir nicht hören, nur eines, als Fritz Heckert zu Max Hölz sagte, ´Max, du siehst doch, daß du allein mit deinen Leuten bist, also halt auf´, darauf erwiderte Max Hölz, ´da muß ich euch in Chemnitz wohl auch auf die Bude rücken´, in diesem Moment sah Ernst Grube uns drei, wobei er andeutete, daß wir verschwinden sollten und nicht lauschen. Wir konnten dann noch sehen, wie M. H. mit seinen bewaffneten Begleitern mit einem PKW abfuhr.
2. Max Hölz spricht in Steinpleiss bei Werdau. Er kam mit dem Auto und Bewaffneten. - Der Platz (damals Anger genannt) war überfüllt. Anwesend waren alle Schichten der Bevölkerung. Seine Ausführungen wurden mit großem Beifall aufgenommen. - Ich muß sagen, seine Worte ließen einen Tatmenschen in ihm erkennen. Sein Schlußwort war: ´Das Wort bricht keine Ketten und kann uns nicht retten, nur die Tat allein macht frei. - Der Kommunismus geht seinen Lauf, ihn hält weder Ochs noch Esel auf.´
3. Es war die Zeit, als die Polizei nach Hölz fahndete. Es war in Leubnitz bei Werdau. - Der größte Saal in Werdau und Umgebung (Keils-Gasthof). Plakate an den Fenstern des Gasthofes, schon tagelang wiesen sie darauf hin, daß ein Professor Iwan Borowski über Sowjetrußland spricht. Der Saal war voll besetzt, nicht nur Arbeiter, auch bürgerliche Kreise der Bevölkerung waren anwesend. Auffallend war, daß dieser Professor etwas mehr über deutsche, als russische Verhältnisse sprach. Kurz nach der eingelegten Pause gingen seine Ausführungen nochmals auf die deutschen Verhältnisse ein und er sagte, ´da suche man hier doch einen gewissen Max Hölz´, entfernte darauf Brille und Bart, ´mit einem Wort, dieser M. H. bin ich´ und verschwand. - Er hinterließ begeisterte Arbeiter und sprachlose und kopfschüttelnde Anwesende.
Es ist dies, mein Erlebtes mit dem Tatmenschen Max Hölz. Ich wünsche, daß mein Beitrag bei Ihrem Vorhaben etwas hilft.- Hoffentlich können Sie mein Geschriebenes lesen. Mit dem Alter ist man eben etwas zitterig.
Mit demokratischen Gruß Walther Reinhardt."

Wie schon gesagt, das Instrument Wirklichkeit wird oft so gestimmt, daß es einige verstimmt und die Töne harscher werden; zum Beispiel:
"Betr.: Dokumente und Erinnerungen an Max Hoelz.
Auf Grund Ihrer Anzeige teile ich Ihnen mit, daß Frau Erna Müller (Auerbach (V), Reinh.-Morgner-Str. 34 - 93 Jahre alt - sich noch gut an Max Hoelz erinnern kann.- Max Hoelz kam in den 20er Jahren in ihr Geschäft Alban Müller, Lebens- und Futtermittel, Schützenstr., in Auerbach (V.) und verlangte 10.000 Mark oder Lebensmittel (unentgeltlich), damit in der Volksküche, Herrenwiese, gekocht werden konnte. - Frau Müller rief den Bürgermeister an und bat um Rat. Darauf dieser: ´Geben Sie es ihm, sonst zündet er auch noch Häuser in Auerbach an!´"

***

Ironie der Geschichte? Im ehemaligen Schloß in Falkenstein ist heute eine Sparkasse untergebracht, ein "Geldinstitut", und aus diesem Schloß erhielt die Firma Otto Meinel - Huthmeinel - vor 80 Jahren diesen Brief:

Einschreiben
Ich fordere Sie auf, bis Sonnabend, den 10. April ds. cr. den Betrag von
Mark: 150 000,- (hundertfünfzigtausend)
im Schloß Falkenstein in bar als eine einmalige Beihilfe zur Finanzierung der roten Armee, abzugeben, bis spätestens 6 Uhr abends.
Im Weigerungsfalle werde ich meiner Forderung Nachdruck zu verleihen wissen.
gez. AKTIONSAUSSCHUSS FALKENSTEIN
Max Hoelz - Schloss Falkenstein, den 8. April 1920. E. 10

Der Unternehmer Otto Meinel schickte sofort am gleichen Tag, vormittags 11 Uhr, ein Telegramm an den Ministerpräsidenten Dr. Gradnauer nach Dresden: "Erpresserbrief von Hölz über 150.000 eingegangen unmöglich erbitte Schutz Drahtwort. Huthmeinel" - Ob und wie von seiten des Freistaates Sachsen Schutz gewährt wurde, war im Falle Meinel nicht herauszufinden; aber eine andere Institution bot Hilfe an:

Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt - Filiale Klingenthal:
"betr.: Hölzsache! Klingenthal, i. Sa., den 12. April 1920
A b s c h r i f t.
B ü r g s c h a f t s - E r k l ä r u n g.
Die auf beigefügten Originallisten verzeichneten Einwohner und Firmen des Amtsgerichts-Bezirkes Klingenthal verpflichten sich, um ihre Heimat vor dem Schlimmsten zu bewahren, der Allgemeinen Deutschen Credit-Anstalt, Filiale Klingenthal, anteilig für die Summe von
M 1.000.000,-
zu helfen und erklären hiermit durch ihre eigenhändige Unterschrift die selbstschuldnerische Bürgschaft für den Betrag von
M 1.000.000,-
und Zinsanhang zu übernehmen.
Die Echtheiten der Unterschriften und das Einverständnis ihrer Unterzeichner mit dieser vorliegenden Bürgschafts-Erklärung bestätigen als Unterschriftszeugen."
Zu den Unterzeichnern gehört, neben vier anderen Fabrikanten, auch Meinel.
Zehn Tage später, am 22. April 1920, schreibt die Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt:

"An den S t a d t r a t zu K l i n g e n t h a l .
A b s c h r i f t.
Von dem Häuptling der roten Garde und Kommunistenführer M a x H o e l z sind bei den Industriellen des hiesigen Bezirkes Erpressungen im Umfange von M 1.000.000,-- ausgeübt worden und zwar als Beitrag zur roten Garde in Höhe von
M 50.000,--   am 10. 4. 20
M 51.000.--   am 10. 4. 20
....................................
....................................
....................................
....................................
von Firma
"    "
"    "
"    "
"    "
"    "
Gustav Spranger
F. A. Rauder
W. Surmann
Gebr. Ludwig
F. A. Böhm
als Teilbetrag von verlangten M 300.000,-
sowie als Abfindungssumme gegen Plünderungen und Brandstiftungen, sowie als Lösegeld für in Haft genommene, mit dem Tode bedrohte 18 Geiseln,
M 1.000.000,-- am 13. April
Wir beauftragen Sie hiermit, bei der sächsischen Staatsregierung wegen dieser erpressten Gelder von M 1.1000.000,-- sowie wegen der von der Allgemeinen Deutschen Credit-Anstalt Filiale Klingenthal auf die Dauer der Darleihung dieses Betrages zu berechnenden Zinsen, Provisionen, Spesen und Stempel den Betrag bezw. Gesuch um Rückerstattung zu stellen.
Wir bitten Sie aber die Stellungnahme zu diesem Gesuche umgehend die Erklärung der sächsischen Staatsregierung einfordern zu wollen und besonders noch darauf hinzuweisen, dass bei einer Verzögerung eine erhebliche Mehrforderung für Bankzinsen ect. entsteht.
Hochachtungsvoll
Im Auftrag der Firmen des Klingenthaler
Amtsgerichtsbezirkes."

Es ist Unruhe im Lande Sachsens, nicht nur Kontenbewegungen sind festzustellen, auch Streikbewegungen greifen um sich. Vom Generalstreik in Klingenthal ist auch die schon genannte Firma Otto Meinel betroffen. Herr Meinel, und das ist verständlich, sieht nicht ein, daß er nicht geleistete Arbeit entlohnen soll, sind doch er und seinesgleichen nicht unmittelbar für die politischen Zustände verantwortlich; was liegt näher, als sich an den Ausschuß zur Feststellung von Entschädigungen für Aufruhrschäden zu wenden? Betr.: Rückzahlung des erpreßten Geldes.
Der Ausschuß teilt ihm mit:
"In der Aufruhrschadenssache der Firma Otto Meinel - Huthmeinel in Klingenthal - erlässt der Ausschuß zur Feststellung von Entschädigungen für Aufruhrschäden bei der Kreishauptmannschaft Zwickau auf Grund mündlicher Verhandlungen vom
21. April 1921 folgenden
B e s c h e i d:
Der Antrag wird abgelehnt.

B e g r ü n d u n g.
Am 11. April 1920 hat der Bandenführer Hölz, nachdem er Klingenthal und Umgebung besetzt hatte, den Generalstreik ausgerufen. Seine bewaffneten Genossen haben in zahlreichen Betrieben unter Drohung mit Gewalt die Einstellung der Arbeit während der folgenden 3 Tage durchgesetzt.
Nachdem die Banden durch die Reichswehr vertrieben waren, haben die Fabrikanten und Gewerbetreibenden auf Grund einer in der Klingenthaler Zeitung Nr. 85 vom 15. April 1920 veröffentlichten Vereinbarung den Arbeitern die Löhne für diese Streiktage ausgezahlt.
Die Antragstellerin fordert Ersatz des Schadens, den sie dadurch erlitten hat, dass für 5385,81 M derartige Streiklöhne an seine Arbeiter, Gehälter an Angestellte und Versicherungsbeiträge verausgabt hat ohne die Gegenleistung zu erhalten.
Der Antrag muss abgelehnt werden. Nach § 1 Absatz 1 des Aufruhrschadensgesetzes wird Ersatz nur dann gewährt, wenn der Schaden ´am beweglichen oder unbeweglichen Eigentum unmittelbar durch offene Gewalt im Zusammenhange mit inneren Unruhen´ verursacht worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht durchweg vor. Es handelt sich hier vielmehr um einen Vermögensschaden, der nur mittelbar durch die inneren Unruhen und die dabei zur Anwendung gekommene offene Gewalt herbeigeführt ist. Die Bezahlung der Streiklöhne war zwar durch Hölz gefordert, sie ist aber erst erfolgt, nachdem seine Gewalt gebrochen war. Die Unternehmer haben sich dann noch zu der Bezahlung entschlossen, um wieder Beruhigung unter die aufgeregte Bevölkerung zu bringen und jeden Anlass zu neuen Unruhen zu beseitigen. Sie haben also nicht mehr unter dem Zwange der Gewalt sondern auf Grund freier Entschliessung gehandelt.
Außerdem muss Ablehnung auch nach § 2 Absatz 1 des Gesetzes erfolgen, da nach der bei der Polizeibehörde eingeholten Auskunft die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Antragstellerin so sind, dass ihr Fortkommen durch den Schaden nicht unbillig erschwert wird. Sollten sich die Vermögensverhältnisse jetzt ungünstiger gestaltet haben, so sind sie doch sicher zu der Zeit, als der Schaden eintrat, so gewesen, dass der Schaden überwunden werden konnte.
Die Antragstellerin fordert ferner 300 Mark dafür, dass die Banden ihr Geschirr mit 2 Pferden benutzt haben, 180 Mark dafür, dass ihr Einspänner 2 Tage lang still stehen mußte und nicht verdienen konnte, 60 Mark Wagenstandsgeld, das sie zahlen mußte, weil ein eingegangener Waggon infolge des Aufruhrs nicht entladen werden konnte, und 2000 Mark für entgangenen Geschäftsgewinn. Diese Ansprüche müssen aus denselben Gründen wie vorstehend auf § 1 Absatz 1 des Gesetzes abgelehnt werden.
Auch hier handelt es sich vielleicht um mittelbare Vermögensschäden, keinesfalls aber um unmittelbare Eigentumsschädigungen."

Dieser Ablehnungsbescheid muß den Unternehmer Otto Meinel derart erbost haben, daß er auch zwei Jahre nach der Erpressung keine Anstalten machte, seinen Anteil der Bürgschaft zurückzuzahlen. Wie der Fiskus ja festgestellt hatte, waren seine Vermögensverhältnisse stabil, so müssen wir also davon ausgehen, daß seine Weigerung als eine Art Trotzhaltung zu interpretieren ist; was zur Folge hatte, daß ihn der Bürgermeister von Klingenthal schriftlich aufforderte, endlich zu zahlen:

"Klingenthal, den 8. April 1922.
Firma
Herrn
Otto Meinel (Huthmeinel) in Klingenthal
Nachdem die Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt (Filiale Klingenthal) im April 1920 die Zahlung der von Hölz erpreßten Geldsumme gegen Bürgschaftsleistung übernommen hatte, hat sie die ihr gegenüber entstandene Schuld bisher gestundet. Die Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt hat erklärt, daß sie sich zur weiteren Gestundung der Gesamtschuld nicht bereit finden könne. (...) Zu der Schuldsumme selbst ist für etwa noch notwendig werdende Ausgleiche ein Zuschlag genommen und der Umschlagberechnung der Betrag von 1,5 Millionen Mark zu Grunde gelegt worden. Daraus ergibt sich, daß auf die 100.000 Mark steuerbares Einkommen 5315 Mark Bürgschaftsanteil zu zahlen sind. Nach Ihrer bzw. der Veranlagung der Inhaber Ihrer Firma für das Jahr 1920 entfallen dafür auf Sie, den Betrag auf volle 10 M abgerundet, 31890 Mark.
Sie werden gebeten, diesen Betrag bis spätestens den 30. August d. J. an die Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt (Filiale Klingenthal) einzuzahlen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Bürgermeister Dr. Ungestüm"

Wie den zugänglichen Archivmaterialien zu entnehmen ist, ließ der Fabrikant Otto Meinel auch diesen Zahlungstermin, 30. April 1922, verstreichen. Am 13. September 1922 erhält Herr Meinel eine weitere Mahnung, diesmal von der Allgemeinen Deutschen Credit-Anstalt:

"Betr.: Erpressung Hölz.
Wir vermissen noch die Zahlung Ihres Anteils an der uns gegenüber eingegangenen Schuld. Wir bitten Sie deshalb, die ganze Angelegenheit einer nochmaligen Erwägung zu unterziehen und sind überzeugt, dass Sie schon aus moralischen Gründen auf die Zahlung zukommen werden, denn durch die Abfindung an Hölz wurden Gefahren für Leben und Gut abgewendet, welche vornehmlich den angesehenen, massgebenden und vermögenden Kreisen und damit auch Ihnen drohten.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt"


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